Jugendrichter Andreas Müller hat seiner Ankündigung von Anfang September Taten folgen lassen: Am Amtsgericht Bernau hat er zwei Fälle von illegalem Cannabisbesitz in geringen Mengen ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zur Prüfung vorgelegt.
„Die Verfassungswidrigkeit steht dem Cannabisverbot auf der Stirn geschrieben“, sagte Müller der Deutschen Presse-Agentur. Er hatte bereits im Vorfeld angekündigt, das BVerfG anzurufen. In den Verfahren drängen sich laut Müller Zweifel daran auf, ob eine Strafverfolgung beim Besitz von Cannabis verfassungsgemäß ist. Müller plädiert für Therapien und eine verbesserte Aufklärung über den Cannabiskonsum statt einer „Stigmatisierung mit dem Strafrecht“.
Seit vielen Jahren setzt Müller sich für die Entkriminalisierung der Pflanze ein. Argumente hat er viele. In seinen Augen hat die Verbotspolitik große Nachteile, etwa die Kriminalisierung der Konsumentinnen, fehlende staatliche Kontrollmechanismen im Hinblick auf Herstellung, Qualität und Verfügbarkeit der Substanz, enorme Kosten der Strafverfolgung sowie Bindung personeller und materieller Ressourcen bei den Strafverfolgungsbehörden. „Ist es nicht besser, wenn wir mehr Zeit für Kinderpornographie haben, anstatt kleine Kiffer zu verfolgen?“, fragt er.
Anstatt darauf zu warten, dass die Politik in die Gänge kommt, nutzt Müller die Möglichkeiten der Judikative. Mit Gewaltenteilung zur Cannabislegalisierung. Das Gericht in Karlsruhe wird nun prüfen müssen, ob das Cannabisverbot verfassungswidrig ist. Müller sagt: „Ich bin fest davon überzeugt, dass über diesen Weg zumindest eine Teillegalisierung hergestellt werden kann.“
Bei seinem Vorstoß macht sich Müller Artikel 100 des Grundgesetzes zunutze. Nach diesem kann ein Gericht, wenn es ein Gesetz, nach dem es sich richten müsste, für verfassungswidrig hält, die Unterstützung vom Bundesverfassungsgerichts einholen. Er nutzt dabei Richtervorlage des Deutschen Hanfverbandes.
Dieser hat einen hundertseitigen sogenannten Normenkontrollantrag verfassen lassen. Darin wird ausgeführt, warum das Cannabisverbot der Verfassung widerspricht. In der „Justizoffensive 2019“ ruft der Verband Anwälte, Angeklagte und Richterinnen dazu auf, das Papier zu nutzen, um mit den eigenen Verfahren das Bundesverfassungsgericht anzurufen oder sich damit durch die Instanzen zu kämpfen. Je mehr Anträge eingehen, desto dringlicher wird die Prüfung eingeschätzt.
1994 prüfte das Bundesverfassungsgericht das Cannabisverbot schon einmal. Damals entschied es für das Verbot. Ebenso im Jahr 2002. Die Richter sahen zu große Gefahren und Risiken. Jetzt aber denken viele Juristen anders, glaubt Müller. „Ich bin nicht der Einzige, der das für verfassungswidrig erachtet. Ich befinde mich im Boot mit der überwiegenden deutschen Strafrechtsprofessorenschaft“, sagte er dem rbb.
Immerhin: Seit März 2017 können sich deutsche Patienten medizinisches Cannabis regulär beim Arzt verschreiben lassen.