Schon einmaliges Kiffen könne die Hirnentwicklung von 14-Jährigen beeinträchtigen, schreiben die Forscher. Doch ganz so einfach ist es nicht.
Beim Diskutieren über Cannabis hilft es, zunächst einen tiefen Zug Sauerstoff zu nehmen. Einfach mal durchatmen. Das macht einen klaren Kopf. In der oft aufgekratzen Debatte könnte uns das helfen, nicht immer so viel Unsinn zu reden. Auch jetzt wieder, da sich eine Studie über Teenager verbreitet, die ihre Gehirne mit Cannabis in Trockenobst verwandeln.
Natürlich sollte niemand unter 18 regelmäßig Cannabis konsumieren, wirklich nicht. Dass das die Entwicklung des Gehirns beeinträchtigen kann, darauf deuten mehrere Studien hin. Die neue, gerade viel diskutierte Untersuchung legt jetzt sogar nahe, dass schon ein- oder zweimaliger Cannabis-Konsum bei 14-Jährigen die Hirnentwicklung negativ beeinflussen kann.
Kann, nicht muss. Der Aufschrei ist trotzdem so groß, als habe jemand einem Säugling Haschkekse verfüttert (bitte tut das nicht, auch nicht an eure Katze).
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Ein internationales Team aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern hat Hirnscans von 46 Jugendlichen ausgewertet und die Ergebnisse im FachmagazinJournal of Neuroscience veröffentlicht. Alle Probanden hatten angeben, ein- oder zweimal Cannabis konsumiert zu haben. Die Forschenden entdeckten, dass sich die Gehirne dieser Jugendlichen anders entwickelten als die von Gleichaltrigen, die angegeben hatten, noch nie Cannabis zu sich genommen zu haben. Den gestiegenen Anteil der sogenannten Grauen Substanz im Gehirn machten die Forschenden dafür verantwortlich, dass die Probanden Defizite im Denkvermögen, bei der Arbeitsgeschwindigkeit und ihrer Geschicklichkeit hatten. Und viel weiter scheinen sich manche Leute nicht mit der Studie beschäftigt zu haben, um ein Urteil zu fällen.
„Schon ein paar Joints verändern das Gehirn“, titelte die Bild, keinen Widerspruch duldend, und warnte im Text darunter vor der oft verharmlosten Droge, ohne jedoch weiter auf die Studie einzugehen. Und die Welt schrieb über ihren Artikel zur Studie: „Was Cannabis in den Hirnen 14-Jähriger anrichtet“. Das liest sich, als reiche das Spektrum der Auswirkungen von „nichts“, über „vielleicht ein bisschen was“ bis „das Gleiche wie 200 Grad heißer Flüssigkleber im Gehörgang“. Auch der Text beschäftigte sich erst mit verallgemeinernden Schreckensszenarien, um dann im letzten Drittel doch noch darauf einzugehen, dass es an der Studie einiges zu kritisieren gibt.
Die Cannabis-Studie lässt zu viele Fragen offen
Denn die Studie berücksichtigt nicht, was die Probanden genau konsumiert hatten. Hochgezüchtetes Killerweed, mit Chemikalien gestrecktes Haze oder doch mildes CBD-Gras: All das hätte völlig unterschiedliche Auswirkungen, ganz davon abgesehen, dass offenbar niemand überprüft hat, ob die Studienteilnehmer- und Teilnehmerinnen wirklich keine anderen Drogen konsumiert hatten. Genau das kritisiert auch Dr. Eva Hoch, die am Münchner Uniklinikum eine Forschungsgruppe zu Cannabinoiden leitet. Die Studie verlasse sich ganz auf die Aussagen der Jugendlichen, sagt Hoch laut Welt: „Um zu verifizieren, dass ausschließlich Cannabis gebraucht wurde [sic] – und dies nur ein- oder zweimal – wären Drogenscreenings sinnvoll gewesen.“
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Auch Derek Hill, ein Experte für bildgebende Verfahren vom University College London, findet laut SZ die Studienergebnisse weniger beunruhigend. Nur weil die Gehirne etwas größer seien, müsse das nicht zwangsläufig auf einen Schaden hinweisen. Anders gesagt: Ganz so einfach ist der Kausalzusammenhang zwischen einmaligem Kiffen und Entwicklungsstörungen doch nicht herzustellen.
Dabei wäre eine seriöse Aufklärung wichtig, um Jugendliche vom Kiffen abzuhalten. Abgesehen von ihren Schwächen zeigt die Studie ja, dass es den Probanden egal war, dass Cannabis verboten ist. Sie kiffen trotzdem.
Der US-Bundesstaat Colorado investiert jedes Jahr in Bildung und Suchtprävention zweistellige Millionenbeträge aus Steuereinnahmen, die das Cannabis-Geschäft generiert hat. Colorado hatte 2013 Cannabis vollständig legalisiert und nutzt die neu entstandenen Einnahmen auch, um den Konsum bei Jugendlichen zu bekämpfen. Aber legales Cannabis, befürchten Kritikerinnen wie die Suchtforscherin Ursula Havemann-Reinecke, werde dazu führen, dass mehr junge Leute kiffen. Diesen Zusammenhang würden sehr viele „hochkarätige Publikationen“ zeigen, wird sie im Welt-Artikel zitiert. „Die beste Prävention für unsere Jugendlichen ist, die Cannabisverfügbarkeit gering zu halten, also keine Legalisierung voran zu treiben“, sagt sie und ignoriert dabei wie viele Prohibitionsbefürworter, dass sich die Leute das Zeug trotzdem einfach holen. Offizielle Zahlen aus Colorado zeigen ohnehin eine andere, unaufgeregtere Realität.
Die Justizbehörde von Colorado verkündete im Oktober letzten Jahres in trockener Bürokratensprache, dass sich der Cannabiskonsum von High-School-Schülerinnen und -Schülern zwischen 2005 und 2017 nicht verändert habe. Die Zahl der Schülerinnen und Schüler die vor ihrem 13. Lebensjahr gekifft haben, sei 2017 sogar auf 6,5 Prozent zurück gegangen, im Vergleich zu 9,2 Prozent im Jahr 2015. Aber es nützt wenig, auf solche Zahlen zu verweisen, so lange die Diskussion um Cannabis so dogmatisch geführt wird.
Dabei wäre es wichtig, mehr darüber herauszufinden, wie sich Cannabis im Gehirn von jungen Menschen auswirkt, um sie möglichst früh darüber aufklären zu können. Sobald allerdings jeder diese Studien für seine politischen Zwecke einspannt und darüber vergisst, sich genau mit ihnen zu beschäftigen, erzeugen wir kein Klima, in dem wir ernsthaft darüber diskutieren können, ob Cannabis für den Freizeitkonsum illegal bleiben sollte oder nicht.
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