Liebling Kreuzberg

Anwalt für die grüne Pflanze. Oliver Rabbat hat sich auf Strafrecht spezialisiert. In seiner Kanzlei berät er aber eher harmlose Fische. Vom Gesetzgeber würde er sich mehr Toleranz im Umgang mit Kleindealern und Cannabiskonsumenten wünschen.

Er nennt sich der „Cannabis-Anwalt“. Seine Mandanten sind bekifft Auto gefahren oder wurden mit Drogen erwischt. Oliver Rabbat über die Legalisierung von Drogen und den Albtraum von der Großkanzlei.

Locker liegt der Vaporizer, ein kleiner elektrischer Verdampfer, in seiner Hand. „Wenn es Sie nicht stört“, sagt Oliver Rabbat und nimmt einen Zug vom Röhrchen, das oben aus dem schwarzen Gerät ragt. Weißer Dampf wabert durch die Luft der Dachterrasse, die zu seinem Büro gehört. Der 43-Jährige teilt sich dies mit einem Medienanwalt. „Ohne ihn hätte ich den Raum wohl nicht bekommen, hier arbeiten vor allem Kreative.“

Hier: Das ist das Aufbau-Haus am Moritzplatz in Kreuzberg. Sichtbeton, viel Glas, ohrenbetäubender Lärm von der Baustelle gegenüber, wo einstmals Robben&Wientjes seine Transporter parkte. Von der Straße hallt das Brummen des Verkehrs hoch, immer wieder Sirenen, dann kann man sich kaum unterhalten. Auf dem Dach befindet sich auch eine Kita, manche Kinder scheinen an diesem Nachmittag nicht so recht Lust zu haben, nach Hause zu gehen. Tränen, Geschrei. Rabbat lässt die Geräuschkulisse völlig kalt, tiefenentspannt fläzt er sich in einen der Terrassenstühle. Kurze Hose, gelbe Socken. „Die Leute müssen mich nehmen, wie ich bin.“ Auf Repräsentanz legt er nicht viel Wert.

Oliver Rabbat nennt sich selbst „Cannabis-Anwalt“, zumindest findet man ihn unter diesem Titel im Internet. „Ich verteile keine Visitenkarten, auf denen das steht, aber wenn jemand fragt, was genau ich mache, dann erzähle ich das auch mit Stolz.“ Er ist Strafverteidiger und hat sich auf Fälle im Zusammenhang mit Cannabis spezialisiert. Meistens wurden seine Mandanten bekifft am Steuer erwischt. Ihnen wird mit dem Entzug des Führerscheins gedroht, sie müssen medizinisch-psychologische Untersuchungen, also „Idiotentests“, über sich ergehen lassen, manchen droht sogar eine Verurteilung als Straftäter. Um eins gleich klarzustellen: in dem Vaporizer ist nichts Verbotenes. „Black Peach Tea, glaube ich. Ein Liquid.“ Rabbat raucht E-Zigarette, das sei aber auch schon seine einzige Sucht, sagt er. Drei Kinder hat er, dass Jüngste wurde gerade geboren.
„Da möchte ich die ganze Zeit präsent sein“, erklärt er. „Außerdem jogge ich den Tag zehn Kilometer, das wäre mit klassischem Rauchen in meinem Alter wahrscheinlich schwierig.“ Der Vaporizer sei ein Kompromiss, nicht ganz so schädlich wie normale Zigaretten – hofft er. Ganz aufhören kann er nicht. Vielleicht hat er deshalb so viel Verständnis für seine Mandanten, deren Lebensgewohnheiten der Rechtsstaat aber strenger in den Blick nimmt. Mit bis zu 0,5 Promille darf man sich noch hinters Steuer setzen, für THC-Werte gibt es keine Toleranz — das regt ihn auf. Wie gegen Drogen vorgegangen werde, hält er für falsch: „Wir sind mi dem System des Strafens hier schon lange am Ende, glaube ich.“ Die überlastete Polizei mache Sisyphusarbeit, wenn sie Kleindealer hochnehme — und erst die Justiz: „Wie viele Kammern da mit Drogendelikten beschäftigt sind!“ Rabbat, der ja davon lebt, dass sein’e Mandanten mit dem Gesetz in Konflikt geraten, wünscht sich, dass mehr Energie in andere Bereiche gelegt und dass man mit einer Legalisierung und staatlich kontrollierten Abgabe den großen Tieren des Drogenhandels das Wasser abgraben würde„Klar, ich möchte auch nicht, dass meine Kinder E-Zigarette rauchen, dass sie Drogen nehmen, dass sie Alkohol trinken. Aber sie entscheiden irgendwann selbst.“Auch er hat als Jugendlicher ab und zu gekifft, „eigentlich alle damals“. Damals, Anfang der Neunziger in Lippstadt, Westfalen. „60 000 Einwohner, kaum Arbeitslosigkeit, heile Welt.“ Wie es da heute erst in Berlin sein mag? In keinem anderen Bundesland fangen Jugendliche so früh“ mit dem Kiffen an wie in Berlin, laut Suchtsurvey im Durchschnitt mit 14,6 Jahren. Hinzu kommt: Nirgends sonst im Bundesgebiet ist die Grenze, bis zu welcher Cannabisbesitz ungeahndet bleibt, so hoch wie hier — 15 Gramm gelten noch als Eigenbedarf. Und, sagt Oliver Rabbat, die Strafverfolgung sei hier im Vergleich zu anderen Regionen oft weniger streng und weniger konsequent, was Cannabisdelikte betrifft. Rot-Rot-Grün wollte zuletzt sogar einen Modellversuch starten, um Cannabis kontrolliert, als Genussmittel abzugeben – der Antrag scheiterte am zuständigen Bundesinstitut. Einen ersten Vorstoß in diese Richtung machte vor einigen Jahren der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg, der einen Coffeeshop nach Amsterdamer Vorbild eröffnen wollte, um das Dealer-Problem am Görlitzer Park in den Griff zu kriegen. Aber auch dieses Projekt scheiterte auf Bundesebene. Dem Konsum hat das keinen Abbruch getan: Der aktuellste Suchtsurvey zeigt, dass 2018 fast 400 000 Menschen mindestens einmal in ihrem Leben an einem Joint gezogen haben. Ist Berlin ein Kiffer Hotspot? Oliver Rabbat überlegt. Wir haben hier eine andere Realität. Die Stadt verspricht Freiheit, man kann hier eher machen, was man will, als anderswo.“Eigentlich müsste sich die Polizei ja auch die Drogensituation in Clubs anschauen. Passieren tut aber so gut wie nie etwas. „Die sind eben ein Wirtschaftsmotor. “Wer doch in ihre Fänge gerät, landet eventuell in Oliver Rabbats Büro, und gegenüber dessen großem schwarzen Schreibtisch. „Ich verspreche niemandem das Blaue vom Himmel, aber ich versuche, die Angst zu nehmen.“ Man könne sich nicht vorstellen, wie Menschen empfinden, wenn sie zum ersten Mal mit Polizei und Staatsanwaltschaft zu tun haben. „Wir Anwälte sind moderne Priester. Zu uns kann man gehen und beichten, ohne verurteilt zu werden.“ Da war etwa der Handwerker aus Brandenburg, der sich am Abend einen Joint genehmigte und am nächsten Tag in eine Kontrolle geriet — es konnte noch immer ein Nanogramm THC in seinem Körper nachgewiesen werden, die kleinste überhaupt messbare Menge. Führerschein‘ weg, Existenz bedroht. Nach Rabbats Empfinden ein harter Fall, ungerecht dem Mann gegenüber. Dann war da noch der asiatische Student, für den es in Berlin ganz normal war, hier und da Drogen zu nehmen, der mit Freunden nach Bayern in den Urlaub fuhr und dort mit ein paar Gramm Koks erwischt wurde. Sein Aufenthaltstitel stand auf der Kippe, nur mit viel Mühe habe Rabbat das Schlimmste abwenden können. Und es gab diesen Mandanten mit sozialen Phobien, der zwei Cannabispflanzen auf dem Balkon hatte, weil er sich nicht zum Dealer traute. Jemand verpfiff ihn, die Polizei stellte fest, dass der THC-Gesamtwert eine kritische Schwelle überschritt — drei Monate auf Bewährung, Führerscheinentzug. „Fahren Sie mal U—Bahn mit einer Angststörung“, sagt Rabbat. Es sind diese Falle, die ihm zeigen, dass mit der Drogenpolitik’ etwas nicht stimmt. Aber langsam bewegt sich die Debatte, die Stimmung wurde in den vergangenen Jahren liberaler, nur CDU und AfD bleiben bei einem rigorosen Kampf gegen die Drogen. „Es wird immer schwieriger, diesen Glaubenskrieg zu fuhren.“ Die Legalisierung von Cannabis wird kommen, da ist er sich sicher. Irgendwann. Der Hype um CPD, das auf den nicht-halluzinogenen Bestandteilen von Cannabis basiert, könnte das beschleunigen. Start-ups wie Vaay stellen etwa Öle und Kaugummis her, die als Wohlfühl-Lifestyleprodukte – vermarktet werden — gerade auch in Richtung der gestressten Großstädter. Die Anfragen dieser Unternehmen mehren sich, erzählt Rabbat, sie brauchen rechtliche Beratung, Hilfe bei Verträgen — „das ist das, wo man als Anwalt eigentlich hin will, wo man richtig Geld machen kann“. Ihn interessiere das allerdings nicht. Vor allem jetzt nicht: „Ich möchte nicht 60 Stunden pro Woche arbeiten, ich möchte meine Kinder aufwachsen sehen. Ich koche, kaufe ein, bringe sie ins Bett.“
Wie es ist, viel zu arbeiten, weiß er. Nach dem Referendariat in Berlin ging er nach Frankfurt am Main zu einer Großkanzlei, „zu den Seelenlosen“, wie er es nennt. „Das war nicht meins, ich bin nicht gern eine Nummer.“ Nach 15 Monaten kam er zurück, wechselte ins Strafrecht, machte sich vor sieben Jahren selbstständig und arbeitet ebenso viel, dass es reicht. „Ich brauche keinen Luxus.“ Selbst etwas Größeres aufbauen? Er will keine Mitarbeiter, will kein Chef sein müssen.Unten am Moritzplatz ist derweil der Feierabendverkehr auf seinem Höhepunkt angekommen. Rabbat muss los,
will noch zum Markt am Maybachufer und muss sich dann in die Küche stellen. Doch da steht ein junger Mann vor der Tür, etwas geknickt wirkt er, fragt, ob Rabbat spontan Zeit habe für ein Gespräch. Der Anwalt winkt ihn herein. Der Feierabend muss warten.

Von Angie Pohlers

Tagesspiegel 27.09.2020